Das 3‑Horizonte‑Modell: Kompass für zukunftsrelevante Transformation

Unsere Realität ist nicht nur volatil und komplex – sie ist oft brüchig, nicht-linear und schwer verständlich. Das BANI‑Denken (brittle, anxious, non-linear und incomprehensible) beschreibt diese Gegenwart präziser als das alte VUCA‑Vokabular. Wer in dieser Realität mit linearen Masterplänen agiert, erlebt schnell die Grenzen klassischer Planung. Zukunft folgt keinem klaren Pfad – sie entfaltet sich emergent, in Sprüngen und Brüchen. Systemisch gedacht, braucht es deshalb Ambidextrie: die Fähigkeit, das Bestehende klug zu führen und gleichzeitig das Neue mutig zu gestalten. Beides – Stabilität und Erneuerung – sind keine Gegensätze, sondern zwei Seiten derselben Transformationskompetenz.

Genau hier setzt das 3‑Horizonte‑Modell an. Es bietet eine Landkarte über Zeithorizonte und Ambitionen hinweg und verknüpft operative Notwendigkeiten mit zukunftsfähiger Erneuerung. Richtig angewendet, wird es vom Innovations‑Tool zum transformationsfähigen Betriebssystem für Organisationen, die enkelfähig wirtschaften wollen.

Drei Horizonte als gemeinsame Sprache für Heute, Übergang und Zukunft

Ursprung und Logik des klassischen 3-Horizonte-Modells

Das ursprünglich von McKinsey entwickelte 3-Horizonte-Modell bietet eine einfache, aber wirkungsvolle Struktur, um Innovationen und Strategiearbeit zu organisieren. Es unterscheidet drei Zeithorizonte:

  • Horizont 1 (H1): Optimierung des aktuellen Kerngeschäfts.
  • Horizont 2 (H2): Aufbau neuer Geschäftsfelder und inkrementeller Innovationen.
  • Horizont 3 (H3): Entwicklung radikal neuer, zukunftsweisender Geschäftsmodelle.

 

Der Clou: Alle drei Horizonte existieren gleichzeitig und müssen parallel gesteuert werden. Das Modell wurde zu einem Klassiker der Innovationsstrategie, weil es hilft, Ressourcen, Zeit und Aufmerksamkeit gezielt zu verteilen – statt dem einen „großen Wurf“ alles unterzuordnen oder in der Gegenwartsoptimierung steckenzubleiben.

Die transformierte Version: Neue Horizonte für nachhaltigen Wandel

Unser 3-Horizonte-Modell ist speziell für die Herausforderungen nachhaltiger Transformation konzipiert. Es basiert auf unserer Erfahrung in der Arbeit mit Organisationen, die tiefgreifenden Wandel anstoßen wollen – über die Optimierung des Bestehenden hinaus. Mit dem Modell geben möchten wir dir ein Werkzeug an die Hand geben, das dir hilft, zwischen stabilisierenden, innovativen und wirklich transformativen Mustern zu unterscheiden.

Quelle: Buch Re:thinking Sustainability 2024

Die drei Horizonte repräsentieren mögliche alternative Zukunftsbilder, die aus der aktuellen Perspektive sichtbar sind. Jeder Horizont symbolisiert ein dominantes Handlungsmuster (y-Achse) im Verlauf der Zeit (x-Achse). Das Modell ist weniger eine Prognose als vielmehr eine Ambition für eine angestrebte Veränderung hin zu einer regenerativen Welt.

Im Zentrum steht nicht die bloße Steuerung von Innovationsprozessen, sondern deine bewusste Auseinandersetzung mit drei unterschiedlichen Logikräumen organisationalen Handelns:

  • H1 = Today-Fokus: Das bestehende dominante System. Hier herrschen Logiken, die oft nicht zukunftsfähig sind: Wachstumszwang, Externalisierung von Kosten, lineares Denken. Diese Muster erzeugen meist „Schadschöpfung“ statt Wertschöpfung.

 

  • H2 = Transition-Fokus: Der Zwischenraum, in dem sich neue Muster und Innovationen zeigen. H2-Initiativen können entweder dazu dienen, H1 zu stabilisieren (z. B. durch grünes Effizienzdenken) – oder Brücken Richtung H3 schlagen.

 

  • H3 = Tomorrow-Fokus: Der Entwurf einer regenerativen, sozial-ökologisch tragfähigen Wirtschaft. Hier entstehen neue Werte, neue Beziehungen zur Natur, neue Unternehmenslogiken. H3 steht für echte Transformation.

 

Diese Neuinterpretation verändert den Blick: Es geht nicht mehr nur um Wettbewerb und Marktanteile, sondern um die Frage, welches enkelfähige Zukunftsbild eine Organisation mitgestalten will.

Warum das Modell für die Transformationsarbeit so wertvoll ist

1. Es schafft Klarheit in der Ambitionsfrage

Viele Organisationen betreiben Nachhaltigkeit und Innovation, ohne zu klären, wohin sie eigentlich wollen. Das 3-Horizonte-Modell lässt sich nutzen, um intern sichtbar zu machen, welche Initiativen:

  • bloßes „Business-as-usual mit grünem Anstrich“ (H1)
  • inkrementelle Fortschritte (H2)
  • oder echte Zukunftsbilder (H3) adressieren.

 

Diese Klärung schafft Diskussionsgrundlagen und verhindert, dass Transformation zur Kosmetik verkommt.

2. Es fördert strategische Kohärenz

Oft laufen Nachhaltigkeits- oder Innovationsprojekte isoliert nebenher. Das Modell unterstützt dabei, sie in eine kohärente Gesamtstrategie einzubetten. Transformationsmanager:innen können mit dem Modell zeigen, wie einzelne Maßnahmen zur übergreifenden Vision beitragen (oder eben nicht).

3. Es macht blinde Flecken sichtbar

Durch die bewusste Differenzierung der Horizonte werden Leerstellen erkennbar:

  • Gibt es ein H3-Zukunftsbild?
  • Welche Ressourcen fließen wirklich in transformative Arbeit?
  • Wo stabilisieren Innovationsprojekte versehentlich H1?

4. Es ermöglicht ein strategisches Transformationsportfolio

Statt nur einzelne Maßnahmen zu priorisieren, könnt ihr mit dem Modell alle laufenden und geplanten Initiativen, Projekte und Programme eurer Organisation in ihrer Wirkung auf den Wandel betrachten – systemisch, ganzheitlich und mit klarem Fokus. Ihr analysiert, welche Maßnahmen welchen Horizont bedienen, erkennt Redundanzen oder Widersprüche und könnt Ressourcen zielgerichtet steuern. Damit wird Transformation nicht zum Zufallsprodukt, sondern Teil einer strategisch ausgerichteten Organisationsentwicklung:

  • Welche Projekte bedienen welchen Horizont?
  • Wie viel Zeit, Budget und Aufmerksamkeit fließen in H3-Initiativen?
  • Wo gibt es Risiken oder Überinvestitionen in Übergangslogiken (H2), die letztlich H1 stützen?

Typische Herausforderungen

Viele Organisationen erleben ein H1-Übergewicht. Verständlich: Dort liegen Umsätze, Planungssicherheit und vertraute Steuerungsgrößen. Dennoch entsteht so eine Schieflage, die H2 und H3 strukturell benachteiligt. Eine Kurskorrektur erfordert explizite Allokationsentscheidungen und ein gemeinsames Bild, warum die Parallelität der Horizonte kein Luxus, sondern Überlebensfrage ist – insbesondere, wenn die eigenen H1-Muster langfristig an Bedeutung verlieren.

Ebenso häufig fehlen tragfähige Übergänge. Ideen in H3 gibt es oft reichlich, doch sie versanden, weil der Sprung in H2 – mit klaren Kriterien, Gates und Budgets – nicht konsequent organisiert ist. Gerade hier hilft das 3-Horizonte-Modell: Es macht sichtbar, ob Disruptionen lediglich zur Erhaltung des Status quo genutzt werden oder als echte Treiber einer nachhaltigen Welt. Erst wenn neue Optionen entlang eines Übergangsdesigns entschieden werden, entsteht der Korridor, in dem Neues wirklich atmen kann.

Dazu kommt die Irritation durch verschobene Zeitgrenzen. Inkrementelle Features können binnen Wochen strategisch kippen und Disruption hält sich nicht an Jahresraster. Wer Horizonte starr zeitlich trennt, verpasst notwendige Entscheidungen im Jetzt. Die bessere Lesart ist: Alle drei Horizonte laufen parallel – mit differenzierten Rhythmen, Kriterien und Meetingformaten. So bleibt die Organisation beweglich, wenn Marktfenster sich öffnen – oder schließen.

Schließlich das H2-Vakuum: In Entscheidungsprozessen hat H1 die etablierten Prozesse und H3 oft die Strahlkraft großer Narrative – H2 wirkt im Vergleich unscharf. Doch ohne den unbequemen Raum der Übergänge bleiben Visionen folgenlos.

Praktische Anwendung: Vom Modell zur Arbeitsroutine

Portfolio sichtbar machen

Startet mit Sichtbarkeit. Legt euer Initiativen-Portfolio entlang der drei Horizonte offen und definiert je Horizont klare Kriterien. So wird transparent, wofür H1-Optimierungen gebraucht werden, welche H2-Brücken wirklich tragen und wohin H3 als Nordstern weist. Diese gemeinsame Karte reduziert Reibung, weil ihr Zusammenhänge erkennt: Welche Option schließt welche Lücke? Wo arbeitet ihr doppelt? Wo fehlt ein Puzzleteil?

Ressourcen und Zeit bewusst zuordnen

Als Nächstes geht es um bewusste Allokation. Eine 70/20/10-Heuristik (70 % H1, 20 % H2, 10 % H3) ist kein Dogma, aber ein starker Startpunkt, um Verteilungskämpfe zu befrieden und Transparenz zu schaffen. Kalibriert die Verteilung lernend, statt sie einmalig festzuschreiben.

Governance trennen

Auch die Governance folgt der Differenzierung. Trennt Rhythmen und Entscheidungslogiken bewusst, indem es verschiedene Meetingformate für die verschiedenen Horizonte gibt.

Zielsysteme & OKRs koppeln

Verknüpft OKRs mit den Horizonten, sodass das Tagesgeschäft (H1) das Entstehen von Neuem (H2/H3) nicht erstickt.

H2‑Vakuum schließen

Richtet H2‑Runden mit klarer Agenda ein. Halte diese Slots separat von H1‑KPIs – sonst dominiert stets das Kerngeschäft.

Wirkungsorientierung verankern

Verknüpft 3H mit regenerativen Zielen – von planetaren Grenzen über zirkuläre Prinzipien bis zu sozialen Wirkdimensionen. So wird Innovation nicht zum Selbstzweck, sondern zum Hebel, um die Resilienz von Systemen zu stärken. H3 steht genau dafür: Muster, die mehr zurückgeben, als sie entnehmen.

Bonussysteme umstellen

Setzt Anreize neu auf. Wenn Boni nur H1-Umsätze belohnen, benachteiligt ihr jedes zukunftsträchtige, aber riskantere H2-Vorhaben. Koppelt eure Zielsysteme so, dass H2/H3-Meilensteine zählen. Sprecht Kannibalisierung offen an, wo neue Angebote alte ablösen müssen – besser, ihr nehmt euch selbst Marktanteile, als dass es andere tun.

Fazit: Transformation braucht mehr als Management

Das erweiterte 3-Horizonte-Modell schafftein neues Denken: Es lässt sich nicht nur zur Innovationssteuerung, sondern auch zur Selbstvergewisserung in Transformationsprozessen nutzen. Besonders für Change-, Nachhaltigkeits- und Transformationsverantwortliche ist es ein strategischer Anker, um Klarheit, Richtung und Wirkung zu schaffen – inmitten eines oft überkomplexen Nachhaltigkeitsdiskurses.

 Reflexionsfragen für die Anwendung in der Praxis

  • Inwieweit sind neue Strategien und Geschäftsmodelle in deiner Organisation vom dominanten System (H1) geprägt?
  • Welche Projekte könnten H2 sein, stabilisieren aber eigentlich nur H1?
  • Wer entwickelt in eurer Organisation H3-Zukunftsbilder – und mit welcher Ressourcenausstattung?
  • Was hindert euch daran, mehr in H3 zu investieren?
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